Was bedeutet das für Medienkompetenz?
Australien macht Ernst: Verbot von Social Media für Kinder unter 16
Social-Media-Plattformen müssen „angemessene Schritte“ unternehmen, um sicherzustellen, dass Kinder unter 16 Jahren keine neuen Accounts anlegen – und dass bestehende Accounts gelöscht oder deaktiviert werden.
Meta, Snapchat und TikTok bereiten bereits Maßnahmen vor. Andere Plattformen warten ab oder prüfen rechtliche Schritte. Für viele Eltern klingt die Regelung wie eine Erleichterung. Für Fachleute wirft sie eine zentrale Frage auf: Schützen wir Kinder, indem wir ihnen Plattformen verwehren – oder indem wir sie befähigen?
Der Diskurs ist komplex. Und er betrifft uns auch in Europa.
Warum Australien die Reißleine zieht
Hintergrund des neuen Gesetzes ist eine Regierungsstudie, die zeigt:
- 96 % der 10- bis 15-Jährigen nutzen Social Media.
- 70 % haben dort bereits schädliche Inhalte erlebt – von Mobbing über Gewaltvideos bis zu Essstörung-Content.
- Über die Hälfte war bereits Opfer von Cyberbullying.
Die Regierung macht vor allem die Designlogik sozialer Medien verantwortlich:
Algorithmische Fütterung, endloses Scrollen, Aufmerksamkeitsfallen.
Kurz: Systeme, die uns länger binden sollen, als uns guttut.
Das Ziel der Regierung ist klar: Risiken reduzieren, bevor sie entstehen.
Welche Plattformen sind betroffen?
Bisher umfasst die Liste die großen Netzwerke:
Facebook, Instagram, Snapchat, TikTok, YouTube, X, Reddit, Threads oder Twitch.
Nicht betroffen sind unter anderen YouTube Kids, Google Classroom, WhatsApp oder Messenger-Funktionen — denn nach den Kriterien des Gesetzes gelten sie nicht als reine Social-Media-Plattformen.
Doch: Die Regierung behält sich vor, die Liste kontinuierlich zu erweitern.
Wie soll das Verbot funktionieren?
Kinder und Eltern werden nicht bestraft, Social-Media-Firmen jedoch schon.
Bei schweren oder wiederholten Verstößen drohen sehr hohe Millionenstrafen.
Doch wie soll überprüft das Alter von Millionen Nutzern überprüft werden?
Die Politik verlangt von den Plattformen den Einsatz von Age Assurance Technologies, darunter:
- Gesichtserkennung
- Stimmanalyse
- Ausweis-Upload
- Identifikation des Alters über Online-Verhalten
Kritiker wenden hier ein: All das sind Methoden mit Unsicherheiten, Datenschutzrisiken und hohem Missbrauchspotenzial.
Wird das Verbot wirken?
Das ist offen – aus drei Gründen:
1. Technische Hürden
Selbst gute Alterskontrollen sind nicht fälschungssicher.
Schon jetzt erstellen viele Jugendliche neue Accounts mit falschen Geburtsdaten oder weichen auf alternative Plattformen aus. Denn für viele Jugendliche sind Social-Media-Plattformen Gemeinschaftsorte, die sie nicht mehr missen möchten.
2. Geschlossene Lücken schaffen neue Schlupflöcher
Das Gesetz betrifft Social Media – aber:
- Gaming-Plattformen
- AI-Chatbots
- Dating-Apps
…bleiben unberührt, obwohl dort ebenfalls hohe Risiken bestehen.
Was sagt die Kritik?
Fachleute äußern deutliche Bedenken:
Datenschutz
Zur Altersverifikation müssten hochsensible Daten erhoben werden.
Australien hatte zuletzt mehrere große Datenlecks – das Vertrauen ist gering.
Ungerechtigkeit und Fehlalarme
Systeme könnten Jugendliche fälschlich aussperren und gleichzeitig echte Minderjährige übersehen.
Umgehung
Expert erwarten:
- massenhafte VPN-Nutzung
- Fake-Accounts
- Ausweichen auf weniger kontrollierte Plattformen
Ein Verbot schützt nur, wenn es nicht dauerhaft unterlaufen wird.
Prävention statt Abschottung
Viele Pädagogen, Psychologen und Kommunikationsforscher warnen: „Kinder brauchen Anleitung, nicht nur Restriktionen.“
Medienkompetenz ist längst eine Kulturtechnik.
Kinder lernen digital – ob wir wollen oder nicht.
Deshalb braucht es:
- Aufklärung
- Regeln und Räume
- Begleitung
- Souveränität
publicon engagiert sich dafür, Menschen in dieser neuen Realität zu stärken: Eltern, Pädagogen, Ehrenamtliche, Profis in Kommunikation und Bildung.
Denn die entscheidende Frage wird nicht sein, ob Kinder Social Media nutzen —
sondern wie gut wir ihnen beibringen, es souverän zu tun.
Wenn Sie sich für einen Workshop oder Vortrag zu dem Thema interessieren, schreiben Sie uns gerne. Kontakt: info@publicon.org